KMU

Weiche Faktoren entscheiden über 
Erfolg oder Misserfolg bei Fusionen

Zirka 70 Prozent der weltweiten Firmenzusammenschlüsse scheitern. Das liegt nach Ansicht des Autors vor allem daran, dass den weichen Faktoren in der Bewertungsphase noch immer zu wenig Beachtung geschenkt wird. Dabei sind es eben nicht nur Zahlen und Fakten, sondern Kultur, Werte und Emotionen, die für eine geglückte Fusion verantwortlich sind, wie M&A-Experten wiederholt beobachten. Hier eine Guideline für fast beratungsresistente KMU-Chefs.

Wenn nicht alles täuscht, stehen wir vor einer neuen Welle von Übernahmen und Zusammenschlüssen. Ein guter Zeitpunkt, um aus Erfahrungen zu lernen, umso mehr, als bei unvoreingenommener Betrachtung lange nicht alle Zusammenschlüsse erfolgreich waren. Ein Hauptgrund ist die Vernachlässigung der sogenannten «weichen» Faktoren. Häufig sind kulturelle und personelle und nicht finanzielle, produktbezogene oder marketingmässige Aspekte für Misserfolge verantwortlich.

Zusammenschlüsse von KMU sind besonders risikobehaftet, geht doch ein Misserfolg schneller «ans Lebendige» als bei grösseren Unternehmen. Häufig fehlen KMU Akquisitionserfahrungen und sie sind stärker von einzelnen Schlüsselpersonen abhängig. Die Unternehmenskultur ist oft von einem Pionier mit seinen Eigenheiten, die sich auch bei -Zusammenschlüssen positiv wie negativ auswirken können, geprägt. Die Chancen bei Zusammenschlüssen von KMU liegen hingegen in der Überschaubarkeit und der Flexibilität.

Aufgrund der unterschiedlichen Voraussetzungen gibt es bei Zusammenschlüssen keine einfachen Rezepte und 1:1 übertragbaren Modelle. Schon die Ziele können sehr unterschiedlich sein. Verständlicherweise wecken Zusammenschlüsse mit dem Ziel von Kosteneinsparungen oder der Ausschaltung eines ungeliebten Konkurrenten bei den Mitarbeitenden mehr Ängste als Zusammenschlüsse zur Gewinnung neuer Geschäftsfelder oder Technologien. Für die Mitarbeitenden macht es einen grossen Unterschied, ob es sich um eine einvernehmliche oder eine unfreundliche Übernahme handelt und ob die eigene Kultur belassen, absorbiert oder neu definiert werden soll.

Grundsätzlich kann zwischen der Bewertungsphase vor dem Zusammenschluss und der Integrationsphase nach dem Zusammenschluss (Pre-Merger- und Post-Merger-Phase) sowie zwischen harten und weichen Faktoren unterschieden werden (siehe Abbildung oben).

Dieser Beitrag legt den Schwerpunkt auf die Bewertungsphase und die weichen Faktoren, sind doch die mitarbeiterbezogenen und kulturellen Gesichtspunkte in der Bewertungsphase eines Mergers bisher in Praxis und Literatur eher stiefmütterlich behandelt worden.

Meist stehen Finanzen, Märkte und Produkte im Vordergrund, und die weichen Faktoren bleiben aussen vor. In allen Phasen eines Mergers haben aber die weichen Faktoren einen grossen Einfluss auf den Transaktionserfolg. Die kulturelle und personelle Analyse erfolgt – wenn überhaupt – in der Regel unstrukturiert, undifferenziert und nicht in der nötigen Tiefe. Es drängt sich deshalb auf, den «weichen» Faktoren im Rahmen einer vertieften Analyse der Bewertung wesentlich grössere Beachtung zu schenken. Auf diese Sorgfalt weist übrigens schon der Begriff Due Diligence (wörtlich etwa «erforderliche Sorgfalt») hin.
In der Bewertungsphase stehen aus kultureller und personeller Sicht folgende Themen im Vordergrund:

  • Kulturverträglichkeitsanalyse
  • 
Personalrisiken, insbesondere betreffend Schlüsselpersonen
  • 
HR-Prozesse und -Systeme

Kulturverträglichkeitsanalyse

Zusammenschlüsse sind erfolgreicher, wenn man sich unterschiedlicher Werte von Anfang an bewusst ist und die in Zukunft zentralen Werte gemeinsam festgelegt werden. Eine sorgfältige Kulturanalyse ermöglicht es, die Unterschiede der beiden Organisationen und daraus resultierende Gefahren für die Kooperation und Integration zu erkennen. Kulturelle Differenzen können als Erfolgsfaktoren genutzt werden, wenn versucht wird, aus der andern Kultur zu lernen. Jede Fusion bricht kulturell Gewachsenes auf und verunsichert zunächst. Der soziale Kontrakt wird in Frage gestellt. Wenn Kultur und Werte achtlos über Bord geworfen werden, wird damit auch die Identifikation der Mitarbeitenden in Frage gestellt. Die Verunsicherung nimmt weiter zu, wenn immer wieder spürbar wird: «Schliesslich haben wir euch übernommen.» Die Mitarbeitenden fühlen sich als bedeutungslose Rädchen, über die verfügt wird. Angst, Unsicherheit und Resig-nation wirken lähmend. Das Unternehmen beschäftigt sich primär mit sich selbst. Innere oder reelle Kündigungen der Besten können die Folge sein. Deren Kosten werden massiv unterschätzt.

Die Unternehmenskulturdiagnose fragt nicht nur nach prägenden Faktoren, Grundorientierungen und Subkulturen. Sie legt offen, welche Widerstände, Unsicherheiten und Ängste bestehen, und spricht auch die tieferen Dimensionen der Kultur (z.B. Werte, Spannungsfelder usw.) an. Eine Unternehmenskulturdiagnose beinhaltet ausserdem Aussagen zu Veränderungsfähigkeit/Widerständen, Commitment, Machtstrukturen, Konflikten, Symbolen, Ritualen, Geschichten sowie Führungsverhalten.

Resultat ist eine umfassende Charakterisierung der beiden Unternehmenskulturen und ihre Verträglichkeit. Synergien und Konfliktpotenziale werden aufgezeigt und Aussagen zu den zentralen Herausforderungen in der Integrationsphase formuliert. Eine Unternehmenskulturdiagnose kann eine objektivierte Grundlage für den Dialog schaffen und gegenseitig zu besserer Kenntnis und besserem Verständnis beitragen.

Personalrisiken

Die Personalrisiken lassen sich am besten anhand des Personalrisikomodells des Autors (siehe Abbildung oben) identifizieren. Dieses Modell ist bewusst einfach gehalten, deckt aber doch die wesentlichen Risikofelder ab.Erfahrungsgemäss sind bei Zusammenschlüssen meist das Austrittsrisiko (Gefahr, dass Schlüsselpersonen gehen) und das Motivationsrisiko besonders gross. Teil des Austrittsrisikos ist selbstverständlich auch der Wissensverlust durch Personalfluktuation. Wenn Know-how mühsam wieder aufgebaut werden muss, erwächst dem Unternehmen grosser Schaden.

Aufgrund des Zeitdrucks im Due-Diligence-Verfahren empfiehlt es sich, den Fokus auf Management und Schlüsselpersonen zu legen und schwerpunktmässig ihre Kompetenzen und Potenziale zu beurteilen. Die Identifikation der Unterstützer und der Verhinderer unter den potenziellen Führungskräften ist ein entscheidender Baustein für das Gelingen des Fusionsprozesses. Gefährdete Schlüsselpersonen müssen rasch erkannt werden, wenn sie im Unternehmen gehalten werden sollen. Entscheidend ist aber nicht nur ein Bild der Fähigkeiten, Verhaltensweisen und Kompetenzen des Managementteams, sondern auch verlässliche Angaben über dessen Entwicklungspotenzial und Lücken im Management.

HR-Prozesse und -Systeme

Auch HR-Prozesse und -Systeme können sich in der Praxis als Deal Breaker erweisen. Diese eher «harten» Faktoren werden lediglich pro memoria stichwortartig angeführt:

  • 
Verbindlichkeiten durch personalrelevante Verträge
    – Gesamtarbeitsvertrag
    – Sozialplan
    – Vereinbarungen über ausserordentlich Zusatzansprüche (Kündigungsfristen, Renten, Abfindungen)
    – Deckungskapital der Personalvorsorge
  • HR-Prozesse und -Systeme
    – 
Strategien und Personalmanagementsysteme
    – 
Vergleich Arbeitgeberleistungen, Vergütungssysteme, Sozialleistungen
    – 
Kompatibilität Personalinformationssysteme
    – Personalcontrollingmessgrössen

Für eine gute HR-Due-Diligence sind Kenntnisse der weichen Faktoren, profunde HR- und Unternehmenskulturkenntnisse sowie spezifisches M-&-A-Wissen und Erfahrung unerlässlich. Da Zusammenschlüsse in der Regel nicht zum Alltagsgeschäft von KMU gehören, fehlt meist intern das notwendige Know-know. Ausserdem besteht gerade in kulturellen und personellen Fragen die Gefahr der Betriebsblindheit.

In der Regel braucht es eine Beurteilung vor Ort durch erfahrene Spezialisten, die die kulturellen und personellen Fragen schnell auf den Punkt bringen können. Sie sind in der Lage, auch unter dem Zeitdruck eines Due-Diligence-Verfahrens schnell handfeste Ergebnisse zu liefern.

Buchtipp

Jean-Marcel Kobi: Die Balance im Management. 2007, Gabler, 172 Seiten, kartoniert, 56.–, ISBN 3-8349-0583-6

 

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Dr. Jean-Marcel Kobi ist 
Geschäftsführer des Management-Beratungsunternehmens J.M. Kobi & Partner in Zürich. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen HR-Management, Personalrisiken und -controlling sowie Change Management und Unternehmenskultur.

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