Bern (sda). Ein «Ungenügend» kommt vom Wirtschaftsdachverband economiesuisse. Es sei unverständlich, dass der Bundesrat mit einer starren Umsetzung den expliziten Spielraum in der Verfassung nicht nütze und die Wirtschaftsverträglichkeit nicht berücksichtigt habe. Er fordert, eine Schutzklausel als Option in Betracht zu ziehen.
Fehlen der Schutzklausel bedauert
Die vorgeschlagenen starren Kontingente entsprechen für economiesuisse den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes nicht. Der Bundesrat ignoriere, dass auf der Grundlage von Kontingenten und einem strikten Inländervorrang mit der EU keine Lösung gefunden werden könne.
Auch der Verband für die Maschinen-, Elektro und Metallindustrie (Swissmem) bedauert, dass das von der Wirtschaft bevorzugte Modell mit einer Schutzklausel nicht berücksichtigt worden ist. Mit dem Vorschlag des Bundesrates seien die bilateralen Verträge in Frage gestellt. Für die Branche sei die EU der wichtigste Absatzmarkt.
Von einem «riskanten Weg» spricht auch der Schweizerische Arbeitgeberverband. Wie erwartet, halte der Bundesrat an einer engen Umsetzung des Verfassungsartikels fest. Der Verband bezweifelt, ob es gelingen wird, so die Personenfreizügigkeit zu sichern. Fielen weitere Abkommen weg, schwäche das den Standort Schweiz.
Schutz von Löhnen und Arbeitsbedingungen
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) pocht darauf, dass in den Verhandlungen der Schutz vor Lohndumping und schlechten Arbeitsbedingungen nicht in Frage gestellt werden dürfe. In der Vergangenheit hätten Kontingente zu Diskriminierung von Ausländern, zu Lohndumping und zu Schwarzarbeit geführt.
Die Gewerkschaft Unia will nicht akzeptieren, dass Kontrollen von Lohn- und Arbeitsbedingungen gemäss Gesetzesentwurf weitgehend entfallen sollen, wenn Mangel an Fachkräften herrscht. «Das öffnet dem Missbrauch Tür und Tor.» Erstaunlich sei, dass der Bundesrat den Entwurf vorlege, ohne mit der EU verhandelt zu haben.
Der Arbeitnehmer-Dachverband Travail.Suisse gibt zu bedenken, dass jede Einschränkung des freien Personenverkehrs die Abhängigkeit der Arbeitnehmer von den Arbeitgebern verstärken würde. «Die flankierenden Massnahmen werden also eine noch grössere Bedeutung bekommen um Schweizer Löhne und Arbeitsbedingungen zu garantieren.»
Der Schweizerische Gewerbeverband (sgv) unterstützt das Vorgehen des Bundesrates. Der Verzicht auf starre Reduktionsziele entspreche einem zentralen Bedürfnis der Wirtschaft, schrieb er am Mittwoch.
Kritik an Kontingenten für Kurzaufenthalter
Nicht einverstanden sind der sgv und mehrere Branchenverbände mit einem Punkt: Kurzaufenthalter sollten ein Jahr und nicht wie vorgeschlagen nur bis vier Monate kontingentsfrei in der Schweiz arbeiten dürfen. Der Arbeitgeberverband hält eine Begrenzung auf vier Monate für zu restriktiv. Economiesuisse stellt dieselbe Forderung, will aber zudem keine Kontingente für Grenzgänger.
Hotelleriesuisse wandte gegen die Kontingentierung ab vier Monaten ein, die Saison dauere nicht in allen Ferienregionen gleich lang. Für den Verband nicht ausgeschlossen wäre eine Ventilklausel – Kontingente würden damit greifen, sobald die Nettozuwanderung einen bestimmten Höchststand erreicht.
Der Schweizerische Bauernverband verweist auf den Bedarf der Landwirtschaft an 25'000 bis 35'000 Arbeitskräften, die für weniger als ein Jahr in die Schweiz einreisten. Weil im Inland praktisch keine Arbeitskräfte zu gewinnen seien, müsse der Inländervorrang pragmatisch angewandt werden.
H+: Befürchtungen bestätigt
Der Spitalverband H+ sieht seine Befürchtungen bestätigt: Er kritisiert zu viele bürokratische Hürden und viel administrativen Aufwand. Die Massnahmen für das Ausschöpfen des Potenzials im Inland weckten zudem falsche Erwartungen. Der Verband begrüsst es, dass der Bundesrat in Mangelberufen auf den Inländervorrang verzichten will.
Der Verband swisscleantech hält das Vorgehen des Bundesrates für aussichtslos. Er verlangt einen europapolitischen «New Deal» – die Umsetzung der Zuwanderungsinitiative soll mit einer Schutzklausel umgesetzt an die Klärung der institutionellen Fragen geknüpft werden.
Das Volk müsse die Gelegenheit bekommen, diesen Weg im Februar 2017 an der Urne zu bestätigen. Swisscleantech unterstützt die Initiative «Raus aus der Sackgasse», die die Streichung des fraglichen Verfassungsartikels 121a verlangt.