Bern (sda). Fassungslosigkeit herrschte im Frühling 2014 in Neuenburg bei den Angestellten von Oscilloquartz. Durch Alarme auf ihren Smartphones erfuhren sie, dass ihr Unternehmen von der Swatch Gruppe an das deutsche Unternehmen ADVA Optical Networking SE verkauft wird.
Das Personal wurde anschliessend während des Tages durch den Arbeitgeber informiert. Doch der Schock über die Nichtinformation wirkte nach. Auf Nachfrage verwies das Bieler Unternehmen nur auf den Umstand, dass es nicht habe früher informieren können, weil es an der Börse kotiert sei.
Allerdings ist es nicht unmöglich, sowohl das Börsenrecht wie auch das Arbeitsrecht einzuhalten, sagt Professor Rémy Wyler von der Universität Lausanne. So sei es möglich, das Personal und die Börse gleichzeitig, zum Beispiel nach Börsenschluss, zu informieren.
Das Kotierungsreglement der Schweizer Börse verpflichtet die Unternehmen über alles zu informieren, was kursrelevant sein könnte. Der Arbeitsrechtsspezialist Wyler erinnert zudem daran, dass das Schweizer Obligationenrecht verlangt, dass das Personal beim Verkauf oder bei einer Massenentlassung informiert werden muss (OR Art. 333a und Art. 335f).
Personal vorher informieren
Gemäss den Weisungen der Schweizer Börse müssen Meldungen eineinhalb Stunden vor der Eröffnung des Handels publiziert werden. «In einem solchen Fall können Unternehmen das Personal gleichzeitig oder sogar davor informieren», sagt SIX-Mediensprecher Stephan Meier. «Wenn die Meldung während der Handelsstunden veröffentlicht wird, ist eine gleichzeitige aber nicht eine vorzeitige Personalinformation möglich», sagt er.
In der Praxis müsste das Personal immer vor den Aktionären über Massnahmen informiert werden, die es betreffen, sagt Sprecher Lucas Dubuis von der Gewerkschaft Unia. Wenn das nicht der Fall sei, mangle es an Rücksicht auf das Personal und an Professionalität bei der Finanzkommunikation, was von der Finanzmarktaufsicht Finma bestraft werden könnte.
Bei einer Massenentlassung gehen die gesetzlichen Vorschriften noch weiter: Statt einer einfachen Information der Mitarbeiter muss das Personal vor der endgültigen Entscheidung noch konsultiert werden. Die Mitarbeiter oder ihre Vertreter müssen zumindest die Möglichkeit haben, Vorschläge zu unterbreiten, wie die Kündigungen vermieden oder deren Zahl beschränkt sowie ihre Folgen gemildert werden können (Art. 335f Absatz 2). Im allgemeinen wird eine Frist von mindestens 14 Arbeitstagen vorgeschlagen.
Konsultationspflicht generell eingehalten
Wenn eine Massenentlassung ins Auge gefasst wird, müsse der Arbeitgeber eine Konsultation durchführen. Andernfalls sei die Massenentlassung missbräuchlich, sagt Professor Wyler. In der überwiegenden Zahl der Fälle würden die Konsultationsphasen eingehalten, vor allem bei Unternehmen, die einem Gesamtarbeitsvertrag (GAV) unterstünden, sagt Unia-Sprecher Dubuis.
Wenn die Prozeduren nicht eingehalten würden, greife die Gewerkschaft zu den Mitteln, die ihr zur Verfügung stünden. Diese reichten von der Mobilisierung bis zu Streiks oder juristischen Massnahmen, um eine Suspendierung der Massenentlassung zu verlangen. «Wir müssen die Verfügbarkeit der Konsultationen und der Informationen für die Mitarbeiter in den Gesamtarbeitsverträgen verbessern und die Gesetzgebung bei Massenentlassungen zu spekulativen Zwecken verschärfen, um Arbeitsplätze zu bewahren», sagt der Gewerkschaftssprecher. Es gebe dazu Diskussionen bei der Unia und im Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SBG).